Der Hubsi, die Greta und das Elend der Linken

„Papa, Papa, ich will Politiker werden!“ „Was willst du? Hast du denn überhaupt schon mal ein paar Hakenkreuze in die Schultoilette geschmiert oder einen Judenwitz gemacht?“ „Nein, das ist doch böse!“ „Ja, aber wie willst du denn sonst die entscheidenden fünf Prozent gewinnen, wenn mal einer eine Schmutzkampagne gegen dich fährst?!“  So oder so ähnlich werden in Zukunft wohl die pädagogischen Gespräche in deutschen Haushalten geführt. Vielleicht hat der eine oder andere nicht gleich einen Bezug, aber es geht hier um den Fall Hubert („Hubsi“) Aiwanger, sein Naziflugblatt, die angebliche Schmutzkampagne (was ist hier eigentlich der „Schmutz“ – die Kampagne oder der Inhalt des Flugblattes) und die Reaktion der Wähler bei den Wahlumfragen – plötzlich 4 Prozent mehr.

Wieder so etwas, was mir nicht in den Kopf gehen will! Was veranlasst Wähler sich mit so einem Menschen zu solidarisieren? Ist es möglicherweise so, dass Menschen das Verhalten von Aiwanger zwar nicht gut finden, sich aber mit ihm identifizieren können?  In dem Sinne, dass ja alle diese Menschen sich als fehlerhaft wahrnehmen und deshalb selber Angst vor der öffentlichen Bloßstellung durch „Linke“ haben, weil sie deren moralischen Maßstäben nicht genügen können oder wollen. Weil sie etwa immer schon das N-Wort benutzt haben, so wie es in Bayern lange üblich war – ohne weitergehende Hintergedanken? Oder weil sie nach Amerika geflogen sind und nicht CO2 freundlicher gereist sind? Oder einfach, weil sie gerne Schweinsbraten und Würste essen – ohne deswegen moralisch verurteilt werden zu wollen, weil die CO2-Bilanz nicht in Ordnung ist und Massentierhaltung sowieso moralisch verwerflich ist.

Ich habe mich auch lange gefragt, warum Greta Thunberg so angefeindet wird, ich habe sie immer für eine bewundernswert mutige Person gesehen, die extrem wichtige Probleme kompromisslos auf den Tisch bringt. Aber offensichtlich fühlen sich sehr viele Menschen von ihrem moralisierenden Anspruch überfordert und auch dadurch auf den Schlipsgetreten, dass ihnen eine junge Frau vorschreiben will, was richtig und falsch sei – eine Frau, die weder die Lebenserfahrung vieler noch einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der meisten  Menschen hat. Wenn sie etwa eine CO2-arme Atlantiküberquerung im Segelboot inszeniert, dann ignoriert sie die soziale Dimension des Problems völlig, weil gerade eine solche Überquerung nur für sehr wenige wohlhabende Menschen in Frage kommt.

Und damit sind wir beim Thema links und rechts. Im Moment scheint es so, dass die Rechte unaufhaltsam auf dem Vormarsch scheint und die Linke (nicht nur die Partei – ich meine die politische Linke) keinerlei Rezept dagegen hat. Ich habe mich ja immer als „links“ betrachtet und mein politisches Grundanliegen war es, dass den gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, vor allem der (groben) materiellen Ungleichverteilung entgegenewirkt wird. Heute ist diese in unserer Gesellschaft weiter ausgeprägt als noch vor einigen Jahrzehnten, aber das Thema scheint unter den linken Parteien im Moment keine Rolle zu spielen. Ich habe mich auch schon oft gefragt, was ist denn heute überhaupt noch „links“ und „rechts“ – und ich habe noch keine abschliessende Erklärung dafür. Schutz vor Diskriminierung, Integration und Förderung von Minderheitenrechten sind und waren sicher immer „linke“ Themen, scheinen aber heute die dominanten Themen v.a. junger städtischer eben „linker“ Eliten zu sein. Das heißt aber auch, dass die ursprünglich linke Wählerschaft sich nicht mehr in ihren Bedürfnissen angesprochen fühlt und nicht mehr an die ensprechenden Parteien gebunden fühlt, sich von diesen Eliten auch nicht vertreten fühlt. Vielleicht kann man es so auf den Punkt bringen: Schutz und Förderung von Minderheitsrechten sind wichtig und aller Ehren wert – aber eben kein (direkter) Belang der Bedürfnisse der Mehrheit. Und einer Politik, die diese Belange außer acht läßt bekommt keine Mehrheit. Dabei spielt es offensichtlich gar keine Rolle, dass die aufsteigende AfD ja deren Interessen auch nicht vertritt – es genügt anscheindend das atmosphärische Aufnehmen der Frustration der von der Linken entfremdeten Menschen.

Ich möchte aber hier noch auf einen anderen Aspekt eingehen und zwar den moralisierenden Anspruch der „neuen“ Linken. Dieser führt in großen Kreisen der Bevölkerung eben zu jenem „Abschreckungseffekt“ der sie sich vielleicht mit einem Hubsi Aiwanger solidarisieren lässt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder sagen darf, was er will, wir leben in einer Welt eines kaum je zuvor gekannten Meinungspluralismus – dennoch ist heute, wie die jemals zuvor der (unsinnige) Satz zu hören, dass man „das nicht mehr sagen dürfe“. Ich denke, dass hiermit die moralische Verurteilung vieler Meinungen gemeint ist, die gefürchtet wird und der man sich zu Unrecht ausgesetzt sieht. Man braucht nicht darüber sprechen, dass es Meinungen gibt, die nicht zu diskutieren sind, weil sie menschenverachtend sind – etwa die Leugnung oder Relativierung des Holocausts ist keine Meinungsäußerung sondern die unerträgliche Verharmlosung eines Verbrechens. Auch die Frage, ob etwa die Erde eine Scheibe oder eine Kugel ist, ist keine Sache der Meinung sondern von Tatsachen. Die Frage ist dabei, warum es heute immer mehr Menschen gibt, die solche Dinge in Frage stellen.

Von vielen Menschen wird die moralische Bewertung politischer wie gesellschaftlicher Vorstellungen offensichtlich als übergriffig und ausschließend empfunden. Das betrifft viele Themen, wie etwa alles was man unter „Wokeness“ subsummiert, also der demonstrativen Herausstellung der Vermeidung der verbalen Diskriminierung (etwa durch das Gendern) verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, das Thema Klima und was damit zu tun hat, wie Fleischkonsum und Mobilität und so weiter. Davon abgesehen gibt es auf der linken Seite weitere große Bruchlinien, etwa die Diskussion der Themen Migration, Islam und Russland. Bei all diesen Themen kommt es sehr schnell zur moralisierenden Abwertung des Andersmeinenden, der schnell Etikettierungen wie „rechts“ oder „rassitisch“  folgen. Auch die Labels „alter weißer Mann“ oder „Boomer“ wirken ausschließend und nicht integrierend.

All diese Punkte  sowie die Ausblendung des einigenden Themas soziale Gerechtigkeit führen dazu, dass die linke Seite des politischen Spektrums sich heute in einem Prozess der Spaltung und Aussplitterung befindet. Viele ehemals links wählende Menschen wählen nicht mehr oder geben gar der rechten „Sammlungsbewegung“ AfD ihre Stimme, auch weil die politische Linke im Moment keine integrative Kraft besitzt /ausstrahlt. Vor einigen Jahrzehnten konnte man gegenüber den immer wieder entstehenden rechten Parteien sehr gelassen sein, da sie sich über kurz oder lang eh zerstreiten würden. Das lag irgendwie in der Natur der Sache, da es Vereinigungen von „Streithanseln“ und Unzufriedenen waren, Menschen deren Weltbild durch Konflikt geprägt war. Das ist zwar immer noch nicht viel anders, aber das Bild, das die AfD im Moment von sich präsentiert ist das eines Sammelbeckens der Unzufriedenen: Wenn du genug hast von Verboten, von „denen da oben“ (Politiker und Eliten), von Meinungsvorschriften, … dann komm zu uns. Und da liefert die Regierung mit unpopulären Gesetzen wie der Heizungsreform, die viele Leute tatsächlich vor Probleme stellt, willkommene Munition. Natürlich, die AfD liefert für keines der Probleme eine sinnvolle oder zukunftsträchtige Lösung – aber das gerät im Moment stark in den Hintergrund. Ich halte es für ein großes Versäumnis der anderen Parteien, das diese Thematik kaum differenziert diskutiert wird. Man beschäftigt sich auch kaum mit der Frage, warum überhaupt so viele Leute für die Rattenfängerei der AfD empfänglich sind. Wenn man so will, verzichtet man darauf, die AfD zu entzaubern und verteufelt sie lieber. Ich halte das für sehr gefährlich, weil es die AfD stärkt und vor allem viele Leute einer „Bubble“ aussetzt, in der es für gefährliche Meinungen,  wie rechtsextremistischem Gedankengut oder Wissenschaftsfeinlichkeit einen fruchtbaren Nährboden gibt.

Bei all diesen Problemen bräuchte ich eigentlich ein paar gute Kabarettisten, die mir das Gehirn waschen und diese Probleme auf den Punkt bringen. Mein ganzes Leben hat mir gutes Kabarett sehr viel bedeutet und viel geholfen, auch weil es meinen inneren Kompass mitgeeicht hat und vieles was mich bewegt hat auf den Punkt gebracht hat. Heute ist das Kabarett dagegen eher dabei, sich selber nach genau dem Schema zu zerfleischen, welches ich oben beschrieben habe: Linkes, korrektes, moralisches Belehrungskabarett mit Faktencheck (Die Anstalt, Richard David Precht etc.)  vs. „rechts reaktionäres“ Kabarett (Nuhr, Gruber, Schleich). Gegenseitige Diffamierungen sind inzwischen anscheinend an der Tagesordnung und ich fühle mich auf beiden Seiten nicht mehr aufgehoben.  In den letzten Jahren habe ich mich bei Kabarettisten beider „Seiten“ oft nur noch geärgert – früher waren Kabarettbesuche oder das Hören von Kabarett hingegen Höhepunkte meines kulturellen Lebens.

Meine persönliche Meinung ist auch, dass Kabarett, in dem immer nur auf „den Westen“, die EU, die Medien oder die deutsche Gesellschaft geschimpft wird irgendwann genau den Teil der potentiell linken Wähler nach rechts wandern läßt, die ein Problem mit den „Staatsmedien“ oder dem „Westen“ haben und die anders denkenden Linken, diejenigen, die sich mit diesem Staat und seiner Gesellschaft identifizieren verprellt. Wenn immer nur darauf herumgeritten wird, wie defizitär unsere Demokratie ist, wie schlimm alles bei uns ist, unsere staatlichen Medien „Einheitsmedien“ wären, die andere Meinungen unterdrücken – und dass „wir“ an so vielem Schuld tragen – dann relativiert sich irgendwann der Unterschied zu autoritären Diktaturen wie der vom Herrn Putin oder Herrn Xi – und dann ist m.E. der Weg nach rechts geebnet. Ich sehe zur Zeit durchaus Elemente, die mich an die sogenannte Queerfront erinnern – man denke nur an die Überschneidungen der Politikdarstellerin und Influencerin Sahra Wagenknecht mit der AfD.

Interessant in diesem Zusammenhang erscheint mir das Buch „Die kürzeste Geschichte Deutschlands“ von James Hawes. Dieser vertritt – in pointierte Weise . die These, dass Deutschland immer schon in eine Westhälfte und ein Osthälfte gespalten war, die sich durch geschichtliche Erfahrung und gesellschaftliche Struktur unterschieden hätten. Der Westen hätte sich immer schon mehr den liberalen Entwicklungen und Staaten Westeuropas zugehörig gefühlt hätte – während der Osten als Erbe des preußischen Junkerstaates seit je her viel autoritärer und hierarchischer geprägt sei. Er zeichnet dies in einer eindrucksvollen Skizze nach und belegt seine These mit Wahlergebnissen aus dem deutschen Reich im Vergleich zu heute. Auch damals, so meint er, wäre in Westdeutschland alleine Hitler etwa nie an die Macht gekommen, wäre auch ein Westdeutschland alleine nie in die Grundkatastrophe des ersten Weltkrieges abgeglitten. Er meint, dass wir auch heute das Phänomen haben, dass die ostdeutsche rechts-autoritäre Bewegung gegenwärtig die politische Agenda ganz Deutschlands bestimmt und Deutschland nach rechts zieht. Ich würde seine Thesen nicht vollständig unterschreiben undmöchte mich von jeglichem Ossi-Bashing distanzieren – aber …, außerdem: rechte Bewegungen gibt es ja auch in Frankreich, Italien, den USA – das scheint also ein internationales Phänomen zu sein.

Und nächste Woche ist eh Wahl in Bayern, danach wird der Inn weiter ruhig in den Herbst fließen. Die Championsleague tritt noch nicht in die Phase, die für Qatar, die Emirate oder den Herrn Abramovic interessant wäre und bis zum nächsten Debakel der deutschen Fussballer ist es noch Zeit bis nach der nächsten Meisterschaft des FC Bayern. Und wenn es im Winter einmal kalt ist und schneit wird der Herr Aiwanger sich darin betätigt fühlen, dass es mit dem Klimawandel nicht weit her ist. Sind die Saudis jetzt eigentlich auch schon in der Championsleague?

Ich hab wieder mal eine Geschichte geschrieben – eine Hommage an die Augsburger Puppenkiste und über drei Marionetten die ihre Abhängigkeit von den Fäden erkennen, ausbüxen und das richtige Leben suchen, sie heißt: Der Ritter, der Löwe und die Prinzessin.

 

 

 

 

 

 

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