Krieg und Dreadlocks

Krieg und Dreadlocks 

Nein, ich glaube nicht, dass viele Soldaten Dreadlocks tragen. Das wäre zu unpraktisch. Es ist nur wieder einer dieser Punkte, die ich in meinem Hirn nicht mehr zusammenkriege. Das mit den Dreadlocks und fridays for future liegt jetzt schon ein paar Monate zurück, der Krieg nicht. Am Anfang war ich für Wochen in einer Art „Schockstarre“, dann gab es eine Phase, in der ich etwas Hoffnung schöpfte weil die Ukrainer recht erfolgreich Widerstand leisteten – und seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass sich tatsächlich so etwas wie eine russische Dampfwalze über die Ukraine wälzt – sehr langsam – aber kaum aufhaltbar. Ich versuche „akute“ Nachrichten aus dem Krieg zu vermeiden, weil ich sie kaum ertrage und lese eher Hintergrundanalysen dazu, aber es ist natürlich ein sehr unzuverlässiger und unvollständiger Eindruck, den ich davon habe. Und dieser Eindruck ist, dass hier mit einer unglaublichen Gewalt, die alles an internationalen Regeln und Menschlichkeit verhöhnt ein Land und seine Bewohner vergewaltigt werden. Ich wüsste nicht, wo dieser Vergleich besser passen würde denn der Begriff Vergewaltigung gilt m.E. nicht nur im direkten sexuellen Kontext . Der Begriff „Konflikt“ passt für mich nicht, weil er impliziert, dass ein Interessenkonflikt zwischen im Prinzip gleichberechtigten Partnern/Gegnern vorliegt – und das ist hier nicht der Fall, weil das russische Regime dem ukrainischen Staat das Existenzrecht abspricht. Es ist verbal und auf dem Schlachtfeld ein Vernichtungskrieg. Was will die russische Seite denn gewinnen außer entvölkerte und zerstörte Städte und Ländereien? Ich verstehe das nicht. Mich frappiert es auch, mit welcher Ungerührtheit dabei die eigenen Soldaten verheizt werden als ob es keine Menschen wären. Für mich trägt dies alles starke Merkmale eines totalitären Systems – der einzelne Mensch und dessen Leben zählt nichts – die Idee – eines russischen Großreichs alles. Es ist das Gegenteil von Humanismus. Um so mehr bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Menschen in Deutschland über diesen Konflikt reden, als wäre er eine lästige außenpolitische Frage wie so viele, bei der man sich so oder so verhalten könne, wo es doch auch an unseren Geldbeutel geht. Ich denke hier an die Äußerungen des Scholz-Beraters Jens Plötner oder den Brief gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine. Natürlich kann oder muss man darüber reden – aber wenn ich Leute wie Richard-David Precht * dazu höre gewinne ich den Eindruck, dass er/sie zumindest eine Teilschuld bei der Ukraine sieht und irgendwie meint, „sie soll sich doch nicht so aufführen, sollen gefälligst kapitulieren“, für mich persönlich reicht das schon fast an eine Täter-Opfer-Umkehr hin. Ich will das nicht allen unterstellen, aber so kommt das bei mir an. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Ukraine nicht bis jetzt durchgehalten hätte, hätte sie keine Waffenlieferungen erhalten. Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit US (und britische) Waffenlieferungen ab 1941 an die damalige Sowjetunion den Zusammenbruch der roten Armee und einen Sieg von Adolf Hitler verhindert haben.

Ich habe einen sehr interessanten Artikel über Pazifismus und die Haltung zum Krieg in der Taz gelesen. Ich denke man muss hier zwischen einer pazifistischen Haltung unterscheiden, bei der man keinesfalls bereit ist Gewalt zur Durchsetzung politischer Interessen einzusetzen – und das bin ich, wie wahrscheinlich der größte Teil der Deutschen nicht – und der, dass man es moralisch auch für verwerflich hält, sich gegen einen Aggressor auch mit Gewalt zu wehren – und diesen unter Umständen auch zu töten, wenn es notwendig ist – und diese Bereitschaft sehe ich als notwendig um in einer Welt, in der Gewalt existiert zu überleben und auch mögliche Opfer zu schützen. Dieser Unterschied wird selten diskutiert (dazu ein interessanter Beitrag des Moralphilosophen Wilfried Hinsch) für mich ist es aber existentiell, sich darüber klar zu werden. Im zitierten TAZ-Artikel geht es auch darum ob nicht ziviler, passiver Widerstand eine Alternative zum Krieg wäre. Ich denke, ziviler Widerstand hat in gewissen Situationen durchaus einen bestimmten Effekt – aber in so einer Situation halte ich es für fraglich. Es setzt voraus, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Zusammenarbeit mit dem Aggressor verweigert und diese aktive Weigerung auch unter Repressionen wir Folter oder Mord durchhält – und ich denke, dass viel zu wenige Menschen bereit sind, diese Konsequenzen auf sich zu nehmen. Ich würde es nicht schaffen. Die weitergehende philosophische Frage wäre ja auch die, ob ich bereit wäre, mich töten zu lassen, obwohl ich die Möglichkeit hätte, den Mörder vorher zu töten. Ich verneine diese Frage für mich weil ich denke, dass so eine Forderung unmenschlich ist weil sie dem Überlebensinstinkt diametral entgegengesetzt ist. Der zweite Punkt aber wäre, das ich das Leben des Mörders, der sich ja zudem noch amoralisch verhält indem er mich bedroht, als höherwertig einschätze als meines. Und das widerspricht meiner Überzeugung von der Gleichwertigkeit der Menschen. Für mich stellt sich die Situation so dar, dass ein Angreifer mit konkreter Tötungsabsicht sich außerhalb aller menschlichen Werte stellt und durch sein Verhalten das Risiko bewusst auf sich nehmen muss, durch die Verteidigungsmaßnahmen des Opfers selbst zu Schaden zu kommen (Ich freue mich immer, wenn ein Stier einmal einen Torero verletzt – ich weiß nicht, ob diese Freude dann böse ist?).

Aber wie gesagt, ich glaube, diese Fragen stellen sich viele gar nicht. Manchen ist es anscheinend wichtiger, ob eine Künstlerin bei einem öffentlichen Auftritt Dreadlocks trägt – und sich damit der kulturellen Aneignung schuldig macht. Und wenn ich diese beiden Seiten des Buches gegeneinander halte, dann weiß ich nicht mehr was ich sagen/schreiben soll. Ich habe das Gefühl, da sind Weltsichten, die so weit voneinander entfernt liegen dass ich mich überfordert fühle, sie intellektuell irgendwie in Einklang zu bringen. Ich habe mich natürlich gefragt, wie die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer reagieren, wenn sie von der Dreadlocks tragenden Kapitänin Carola Rackete gerettet werden. Wahrscheinlich echauffieren sie sich über deren Haartracht.

Das Thema kulturelle Aneignung wäre natürlich auch sehr interessant. Was ist denn letztendlich der Unterschied zu kulturellem Austausch – kann man da ernsthaft eine Trennlinie ziehen? Und was wäre die Welt ohne kulturellen Austausch. Ich denke da an Themen wie Religion und Schrift, die aus dem Osten zu uns kamen – oder an technisch, industrielle, medizinische Errungenschaften, die der Westen in die Welt brachte. An Musik, an Kunst, an Mode,… Teile der bairischen wurden ja aus Spanien übernommen (fragt lieber nicht genau nach, ich find´s einfach erstaunlich).

Noch was: Ich hab schon viel über westliche Werte gesprochen und das, was ich darunter verstehe. Im wesentlichen sind das die Werte des Humanismus, die in der Aufklärung entwickelt wurden, die Idee von der Gleichwertigkeit der Menschen, die sich in langsamen Schritten bahn gebrochen hat. An diese Vorraussetzung gebunden ist die Vorstellung von der Würde des Menschen und der Menschenrechte. Ohne diese als Grundlage gäbe es weder eine Diskussion über Gendergerechtigkeit noch über kulturelle Aneignung. Die einzig mögliche Gesellschafts- bzw. Regierungsform ist in diesem Ansatz die Demokratie. Alle anderen (autoritären) Regierungsformen gehen von hierarchischen Denkmustern aus und leugnen diesen Grundsatz, setzen die Interessen einiger über die von anderen. Ich sehe hier einen grundlegenden Gegensatz zum Regime des Herrn Putin (wie auch vieler anderer Autokraten). Die Frage ist es, inwieweit wir bereit sind diesen Grundsatz zu verteidigen. Und zwar auf eine geschickte Weise, die wirkt, lange bevor es zu Gewalt kommt**. Ich erinnere hier an Aussagen vieler Autokraten, dass diese Werte eben „westliche“ wären und daher nicht universal gelten würden und auch bei uns haben anscheinend viele die Auffassung dass andere (etwa asiatische) Kulturen hier andere Grundlagen besitzen. Man muss aber immer hinterfragen ob dies nicht einfach eine bequeme Schutzbehauptung der Regierungen ist um unbequeme Fragen nach den Menschenrechten abzublocken. Es wird dabei nicht bedacht, dass andere Gesellschaften selbstverständlich andere Auffassungen über das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft haben (und das muss nicht schlecht sein) – das ist aber eine andere Frage als die nach der Würde und der grundlegenden Gleichberechtigung aller Menschen.

Aber was soll´s, viele verwechseln ja auch Russland mit der Sowjetunion oder berechtigte russische Interessen mit denen des russischen Regimes. Oder verstehen es nicht, dass es vielleicht  durchaus moralisch vertretbar war, vor zehn Jahren sich um den Ausbau russischer Gaslieferungen zu kümmern – aber die Aufrechterhaltung einer Freundschaft zu einem Kriegsverbrecher und Massenmörder eben eine völlig andere moralische Frage ist, ich weiß auch nicht, warum das keiner dem Herrn Schröder, einem aufrechten Sozialdemokraten erklärt.

Ach ja, und nochmal ein Wort zu fridays for future: Ich halte diese Bewegung für extrem wichtig. Unsere Gesellschaft benötigt unbedingt jemanden, der das Thema Klima ständig auf die Tagesordnung setzt und uns in die Hintern tritt. Wenn diese Bewegung sich jetzt aber in einem universalen Gerechtigkeitsanspruch verzettelt, und solche Themen wie kulturelle Aneignung mit vertritt, befürchte ich, dass sie den Rückhalt und die Sympathie sehr vieler Menschen verlieren werden, die zwar auf sie hoffen aber diese Diskussionen nicht mehr nachvollziehen können. Dann würde diese Bewegung an Kraft verlieren und eine der vielen (linken) Bewegungen werden, die sich untereinander im Anspruch auf die absolute Wahrheit zanken und die keiner mehr ernst nimmt. Und das darf nicht passieren, dazu ist das Thema Klimaschutz zu viel wichtig. Genauso wichtig wie der Kampf um die Demokratie und eine offene Bürgergesellschaft – denn ohne diese hat auch der Klimaschutz keine Chance.

Geschrieben hab ich trotzdem noch einiges, vor allem sind es satirische Kurzgeschichten, wie die des Ritter Franz, der von seinem übereifrigen Burgpater zur Teinahme an einem Kreuzzug gedrängt wird. Nur noch ein Wunder kann ihn nun noch retten … also geschieht eines.

Oder die Geschichte von der Alieninvasion und dem Professor Aufschnaiter, der berechnet hat, dass sich das Schicksal der Menschheit im Aischgrund entscheiden wird.

Anmerkungen:

* Was ich dabei auch nicht kapiere ist die Auffassung, das „der Westen“ durch Verhandlungen den Krieg beenden solle. Denn erstens ist „der Westen“ keine Kriegspartei sondern Russland und die Ukraine. Zweitens finde ich den Begriff „der Westen“ mehr als problematisch – es gibt keinen monolithischen Westen. Es gibt eine Reihe von Ländern mit parlamentarischen Demokratien und liberaler Grundordnung, es gibt die Nato, vor kurzem noch als hirntot und obsolet gegolten hat, es gibt die EU, die wirtschaftlich einen großen Block darstellt aber politisch unzureichend organisiert und handlungsfähig ist, es gibt Staaten wie Japan, Taiwan und Südkorea, aber auch wie die Türkei und Ungarn … und ich wehre mich gegen diese unbrauchbaren und unzulässigen Vereinfachungen!

** Darüber habe ich auch schon geschrieben, dazu müsste man aber auch wissen, was man verteidigt und diese Werte „leben“. Der amerikanische Überfall auf den Irak ist hier ja inzwischen das Totschlagargument gegen jeden, der von der Bedeutung dieser Werte spricht. Wichtig wäre hier auch der Aspekt, dass wir jederzeit bereit sind, zivilgesellschaftliche Ansätze – oder Gesellschaften zu verraten – ich erinnere an Syrien, Afghanistan, Hongkong, die Ukraine, der Test bei Taiwan steht noch aus. Aber wenn Xiping etwa fordert, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen …

dazu noch ein link zu einem „Zeit“-Artikel – da geht es um die Zukunft der Liberalität. Ich bin absolut kein Anhänger der FDP – aber die Liberalität unserer Gesellschaft ist ein sehr wichtiges Ziel, ich möchte nämlich nicht in einer autoritären Gesellschaft leben in der das Denken und Leben, die Kunst und Kultur in der Folge über das notwendige Maß beschnitten werden – und ich bin überzeugt, dass autoritäre und/oder populistische Ansätze keines der drängenden Zukunftsprobleme lösen können!

 

 

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