Es bleibt schwierig – Boris und der Rassismus

„Boris“ – was verursacht dieser Name mit Menschen, welche Assoziationen weckt er? Johnson? Becker? Boris the Spider? Palmer? Palmer? Ja, die Rassismusdiskussion ist wieder voll am Dampfen, wer hat`s gelesen? (Ich könnte hier dutzende links eingeben – das lohnt sich aber nicht, denn wenn man unter „palmer“ „aogo“ googelt kommen tausende erhellende Berichte)

Was reitet eigentlich den Oberbürgermeister einer deutschen Universitätsstadt, dass er zu solchen Äußerungen kommt? Ich habe sie gelesen und kann sie auch nicht als ironisch oder satirisch einordnen. Ist es die Profilierungssucht, welche die Borisse hier vereint? Vielleicht kommt es von daher, wenn man solche Dummheiten raushaut? Was reitet aber dann den Jens und den Dennis und den Lars und die Annalena? Na gut, der Jens hat die Nachricht an den Falschen gesendet, so ist der „Quotenneger“ aufgekommen, der Dennis wollte seine Kommentierung drastischer formulieren, so ist er bis zur „Vergasung“ gekommen. Gut, alle beide haben den medialen Tod verdient (das war jetzt sarkastisch gemint). Die Annalena – die hätte vielleicht einmal darüber nachdenken können, dass man erst den Angeklagten anhören soll, bevor man eine Verurteilung ausspricht! Immerhin, der Jens Lehmann und der Dennis Aogo haben sich ausgesprochen, Jens Lehmann hat sich entschuldigt. Und der Lars, ist der nicht Generalsekretär einer renommierten deutschen Kleinpartei? Der nimmt einfach alles mit! So bringt man die eigene Partei voran, wenn man den Grünen gleich ein „Rassismusproblem“ unterstellt.

Aber eigentlich ist es gar keine „Rassismusdiskussion“, denn es geht gar nicht um das Problem Rassismus, es geht viel mehr darum, dumme und vorschnelle Äusserungen von Menschen zu Verurteilen und sie damit  „unmöglich“ zu machen. Immerhin haben Jens Lehmann und Dennis Aogo Jobs verloren (ich denke, sie sind trotzdem nicht arm). Und bei Boris Palmer haben manche Grüne wohl lange auf die Gelegenheit gewartet, ihn abzusägen.

Natürlich sind dumme und rassistische Aussagen als solche zu verurteilen. „Trainieren bis zum Vergasen“, wie es Dennis Aogo sagte ist eigentlich nicht mal rassistisch (außer man fasst Juden als Rasse auf, so wie es die Nazis propagierten), es ist einfach nur geschmacklos und geschichtsvergessen den Tod von Menschen verharmlosend, ja als belanglos bzw. positiv zu kennzeichnen. Ich finde aber auch die überzogene, ja, hysterische Reaktion der Politkerseite bedenklich, denn sie ist Wasser auf die Mühlen jener, die ständig von der „Einschränkung der Meinungsfreiheit“ faseln. Ich habe den Eindruck, dass hier die eine Seite, die sich für die Vernünftigere hält, gar nicht merkt, wie sie die andere aufstachelt – und das halt ich für unklug. Ich will nicht, dass „Rassismus“ zu einem politischen Kampfbegriff verkommt – denn Rassismus ist eines der großen Probleme dieser Welt, dessen Verbesserung ein ernsthaftes, langfristiges Bemühen möglichst vieler verlangt.

Ich finde, dass es ein Problem unserer Zeit ist, dass wir heute mit dem Begriff „Rassismus“ nicht nur inflationär umgehen sondern auch um andere zu moralisch zu disqualifizieren und ich finde, wir müssen damit sehr vorsichtig umgehen. Mich erinnert das an die Tendenz der Antifa, jeden als „Faschisten“ zu bezeichnen, der ihrem (engen, eingefahrenem) Weltbild nicht entsprach. Und weil mir diese ideologische, inflationäre Verwendung dieses Begriffes Bauchschmerzen verursachte, verwandelte sich meine ursprüngliche Sympathie für die Antifa in meine heutige Ablehnung. Noch ein Beispiel: Ich las vor kurzem von einem älteren Herrn, der in einem Laden eines bekannten deutschen Discounters vor zwei dunkelhäutigen Menschen mehrmals demonstrativ den Begriff „Negerkuss“ verwendete. Ich denke, dass dieser Herr kein Rassist ist. Er ist zwar offensichtlich sehr unsensibel und unfähig, sich in eine andere Person hineinzuversetzen, aber wahrscheinlich ging es ihm darum, seinen Ärger darüber öffentlich auszudrücken, dass er diese Bezeichnung mit der er, wie ich, aufgewachsen ist, auf einmal nicht mehr verwenden sollte, weil sie rassistisch sei. Ich denke, er empfindet dies als eine Bevormundung, als Abwertung seiner Person durch andere, die sich hier moralisch über ihn stellen – und darauf reagieren Menschen allergisch. Der Discounter entschuldigte sich anschließend für den Zwischenfall, das Problem bleibt. Wahrscheinlich hat der alte Mann keine Einsicht gewonnen sondern fühlt sich seinerseits genötigt und gedemütigt – und er wird viele Menschen finden, die ihm verbittert Beifall klatschen, das Problem wird eskalieren. Das ist natürlich meine Spekulation, aber es ist die Gefahr, die ich sehe. Eine andere Lösung wäre gewesen, sich zusammen zusetzen, sich kennenlernen, miteinander zu reden. Ich denke, es gibt kein besseres Mittel als das gegenseitige Kennenlernen. In dem Fall so etwas, wie eine Mediation, die es ermöglicht Schuldzuweisungen zurückzustellen und das Gegenüber und seine Motivation und seine Ängste kenne und verstehen zu lernen. Aufgabe der Politik wäre es hier zu verbinden, zu kommunizieren und Ebenen und Möglichkeiten zu schaffen damit sich die Menschen besser kennen und verstehen lernen – und zwar ohne schulmeisterlichen oder moralisierenden Impetus. Wir müssen nun einmal alle in diesem Land zusammenleben – und das kann nur gelingen, wenn man versucht, möglichst viele Menschen für diese Gesellschaft zu gewinnen. einzubinden und den Zentrifugalkräften entgegenzuwirken.

Ich weiß, die „Identitätsdebatte“ ist voll am Dampfen (auch hier könnte ich viele links einfügen – als Humanist, nehme ich einen vom hpd) und ich befürchte, dass die Linke (nicht Partei, die „gesellschaftliche Linke“), durch die rigide, moralisierende Behandlung Anderer und derer Ansichten, diese Menschen abstößt und in die Arme der „Rechten“ treibt. Und das können wir uns nicht leisten. Ich halte es auch für problematisch, in einer Zeit von Hasskommentaren und „Shitstorms“ auf eine solche Art auf mediale Dummheiten zu reagieren. Mich stößt die undifferenzierte Unbarmherzigkeit der Reaktionen darauf ab, sie führt nur zu noch stärkerer Polarisierung. Warum bleiben wir nicht gelassener, differenzierter, versuchen mehr und offener miteinander zu reden? Wie kann man Rassismus bekämpfen, wenn man viele Menschen mit solchen Reaktionen abstößt? Wie kann man eine menschlichere Gesellschaft erreichen, wenn man den „Dummheiten“ und Schwächen der Menschen, mit so einer Unbarmherzigkeit begegnet?

Ich habe zu dieser Thematik ja schon einmal einen längeren Text (Jetzt-hab-ich-einen-tollen-Artikel-gelesen-Ueber-Gleichheit-Gleichwertigkeit-und-politische-Korrektheit) geschrieben. Jetzt habe ich einen über die Frage geschrieben, ob Immanuel Kant Rassist war, wie es in letzter Zeit immer wieder diskutiert wurde. Für mich ist das eine zentrale Frage, weil ich Kant einen wesentlichen humanistischen Ethiker unserer Zeit halte und ich ein Problem damit hätte wenn er Rassist wäre. Der zweite Teil des Textes widmet sich der Frage wie Handlungen im historischen Kontext überhaupt moralisch zu bewerten kann. Das betrifft dann eher den Herrn Bonaparte, der seinen 200. Todestag feiert oder auch den Herr Cäsar, dessen „Memoiren“ (de bello gallico) immer noch völlig unkritisch als Klassiker an den Schulen gelehrt wird.

Und „Boris the Spider“? Der ist natürlich schon lange tot, ein Opfer von  antiarachnischem Rassismus. Sein Mörder – John Entwhistle – ist auch schon lange tot. Schade, denn es gab nur wenige Musiker mit so viel Humor. Und es war nicht nur sein Humor, so wie er etwa in „My Wife“ zum Ausdruck kommt, der ihn auszeichnete, es war auch seine große Sensibilität und Tiefe.  Der Song „Trick of the Light“ lässt mich seit über 35 Jahren nicht mehr los. War es am Anfang eher die Härte, der Druck, die Gitarre und die Dynamik, die Droge des Hardrocks, so ist es inzwischen immer mehr der Inhalt, den ich sehr viel später zu versetehen begann. Jedes Mal, wenn ich diesen Song höre bekomme ich Gänsehaut. Wem die Musik zu hart ist, der muss sich den Text durchlesen. Er ist von einer ergreifenden lyrischen Kraft – ich wünschte mir ich könnte Ähnliches in einem Gedicht ausdrücken.

Um es mit Walter Giller zu sagen: Es bleibt schwierig!

P.S.: Blase Gedicht über die Atomisierung unserer Welt

P.P.S.: Mir sind da noch ein paar Gedanken gekommen was mein tieferes Anliegen betrifft. Dass Rassismus zu verurteilen und abzulehnen ist eigentlich selbstverständlich. Ich glaube, es geht um die Frage, was „Täter“ treibt, weil ich glaube, dass es nur möglich ist, dagegen anzugehen und damit umzugehen, wenn man sich offen mit deren Motivation beschäftigt. Ich denke, es geht hierbei sehr darum – diese Menschen ernst zu nehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, ihre Ängste und Frustration zu begreifen. Ich denke es geht hier auch um das Gefühl vieler dieser Leute, dass andere, die oft sozial besser gestellt sind, sich über sie stellen wollen und sich als moralisch „besser“ darstellen. Ich denke, daher haben so viele Leute auch ein Problem mit Greta Thunberg und der Fridays-for-future-Bewegung oder Veganern – oder den Grünen. Sie nehmen diese als Kräfte wahr, die sich als „etwas Besseres begreifen, sich als moralisch überlegen darstellen und uns etwas wegnehmen wollen“. Und viele dieser Menschen denken sich, „ich habe so viele Probleme, warum kümmert sich die Politik denn nicht darum? Ich habe z.b. als „Ossi“ in meinem Leben Brüche und Zurücksetzung erfahren müssen – und jetzt soll ich der „Böse“ sein, der „Rassist“ sein?

Es geht um also die ernsthafte Wahrnehmung der Gefühle, der Frustration und der Ängste vieler (solcher) Menschen. Ich fürchte, dass viele „Linke“ (also eigentlich die „gute“ Seite, die sich um soziale Gerechtigkeit kümmert) diese Leute nicht mehr wahrnimmt und ernst nimmt bzw. es zumindestens so rüberkommt, weil es in den öffentlichen Debatten kaum mehr eine Rolle spielt (ich glaube, etwa Sahra Wagenknecht, schreibt hier ganz ähnlich). Und ich fürchte, dass das dazu führt, dass sich viele dieser Menschen dann dem rechten Rand zuwenden – der diese Frustrationen und Ängste aufnimmt und aggressiv populistisch formuliert. Ich schreibe das mal so: „wenn ich ein Rassist bin, weil ich „Negerkuss“ sage, dann könnt ihr in mir einen Rassisten haben! Dann wähl ich auch die Rassisten! So eine Art „böser-Buben-Effekt“, ein Trotzeffekt: bezeichnest mich als „bösen Buben“ – dann bin eben einer! Ich bin kein Psychologe, aber ich bin davon überzeugt, dass solche Zuschreibungeffekte eine große Rolle spielen – und wenn man dieses Verhalten als „dumm“ und „kindisch“ abtut, dann überhöht man sich ungerechtfertigterweise über diese Person – und erzeugt so erst recht Aggression.
Ich denke, dass dieser Effekt nicht unwesentlich zur Wahl von Donald Trump beigetragen hat – mit all ihren katastrophalen Folgen für die Welt (die momentanen Zustände in Israel/Gazastreifen hängen durchaus eng damit zusammen). Ich mache mir große Sorgen um unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt, unsere Demokratien und ich glaube, dass die derzeitige Identitätsdebatte verheerend ist, weil sie die demokratische Linke auseinanderdividiert und etwa notwendige Debatten um die Verteilung des Wohlstands in unserer Gesellschaft verschleppt.

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