Die Taliban, Lionel Messi und ein atheistischer Katholik

Die Taliban, Lionel Messi und ein katholischer Atheist

Jetzt ist es also passiert, …die TalibanInnen (wahrscheinlich kann man sich hier das Gendern sparen, die Frauen kommen ja erst im Paradies dazu) haben Afghanistan überrannt, „der Westen“ schaut zu und in die Röhre. Mich hat die Schnelle des Zusammenbruchs des afghanischen Regimes dann doch überrascht, die Taliban sind keine afghanische Volksbewegung (sie sind ein Kind des pakistanischen Geheimdienstes und vor allem saudischer Finanzierung)* und werden nicht von einer breiten Massenbewegung unterstützt. Einen interessanten Artikel dazu las ich in der NZZ. Dieser erklärt plausibel, wie u.a. die Wurstigkeit und mangelnde Kontrolle der westlichen Investoren einen Staat aufbauen half, der zutiefst von Korruption geprägt und zerfressen war. Inklusive Geistersoldaten (das sind Soldaten, die nur auf dem Papier existieren, damit jemand dafür Geld kassieren kann) und hungernder (=unmotivierter) Armeeeinheiten, deren Soldzahlungen an anderer Stelle versickerten**.

Ich habe schon einmal geschrieben, dass es ich kein Freund dieser verkürzten „der Westen ist an allem Schuld“-These bin. Natürlich geht das Debakel in Afghanistan in wesentlichen Punkten auf ein Versagen der Politik der USA und zum Teil von deren Verbündeten zurück, aber diese These unterstellt immer, dass „der Westen“ ein relativ einheitlicher Block wäre, der unter der Führung von Politikeliten eine langfristige, konsistente, zielgerichtete Welt(-Politik) verfolgte – und das erinnert mich stark an die Grundlage vieler Verschwörungstheorien (erinnert sei hier an Begriffe wie „Finanzjudentum“ und „Deepstate“).

Mir scheinen die Geschehnisse eher das Gegenteil zu nahezulegen, sie offenbaren eher eine unglaubliche, entsetzliche Planlosigkeit und Naivität, ja Ignoranz. Dies betrifft sowohl die US-amerikanische Politik, die zwar schnell ein Land besetzen kann aber überhaupt keinen Plan für das danach besitzt als auch die bundesrepublikanische. Ich will keine ungerechtfertigten Gleichsetzungen ziehen, aber mir fällt eine ähnliche Planlosigkeit auf, wenn ich an die Überschwemmungskatastrophe in diesem Sommer, die zögerliche Klimapolitik und die Probleme in der Corona- „Verwaltung“ geht. Mutlosigkeit, Planlosigkeit, Verantwortungslosigkeit – fehlender Gestaltungswille. Ich habe immer den Eindruck, dass strategisches Denken in Deutschland (seit 1945) verpönt ist und daher kaum noch stattfindet . Es ist aber notwendig, weil man wissen muss, wo man hin langfristig will und wie man diese Ziele erreichen kann – und zwar in jeder Beziehung. Und weil man sich überlegen muss, welche Auswirkung heutiges Handelns auf zukünftige Ziele hat.

Es ist hier ein leichtes, die Schuld „den Politikern“ zuzuschieben – aber erstens sind auch „die Politiker“ weder ein einheitlicher Block noch eine einheitliche Klasse – und zweitens haben wir sie gewählt. Anbei: Christian Lindner plakatiert gerade: „Nie gab es mehr zu tun“ nur, er verrät uns leider nicht was zu tun ist, aber das sollen wir dann wahrscheinlich auch wieder den „Profis“ überlassen. Wünschen wir uns hier nicht alle zu oft einen starken Mann (der könnte natürlich auch weiblich sein – etwa eine Reinkarnation von Margaret Thatcher), der weiß was zu tun ist und der uns sagt, wo es lang geht? Nur, was tun, wenn der dann in eine Richtung geht, in die wir nicht wir nicht mitgehen wollen (der Verdacht beschleicht mich auch bei Christian Lindner)? Die Stärke der autoritären Regime ist – und das muss man sich immer bewusst machen – eine Scheinstärke. Sie beruht auf einer Fehlwahrnehmung die daher kommt, dass autoritäre Regime die Probleme ihrer Länder/Menschen/Politik eben nicht öffentlich machen sondern die freie Berichterstattung darüber unterdrücken – und Probleme, über die nicht berichtet wird existieren dann eben nicht!? Oder glaubt irgendwer, dass uns etwa die chinesische Regierung die volle Wahrheit über Corona – den Ausbruch, die Herkunft, die „erfolgreiche“ Bekämpfung oder etwa die Probleme dabei erzählt? Und warum sollte man glauben, dass etwa die Wirtschaftsdaten – mit denen wir uns ständig vergleichen- aus diesem extrem autoritären wie zentralisierten Land korrekt sind? Wer überprüft sie? Ich weiß, es gibt auch in unserer Gesellschaft den Vorwurf der „Systempresse“ (auch von linker Seite) – nur dieser Vorwurf hält einer näheren Überprüfung nicht statt und jeder der will kann sich über existierende Probleme von vielen Seiten informieren. Ein Problem stellt bei uns auch nicht die „Systempresse“ dar sondern viel eher (oft von dubiosen Milliardären betriebene) Privatmedien, wie bei uns die Bild-„zeitung“, in den USA Fox-News oder Breitbart, die Hetzkampagnen mit politisch problematischer Zielsetzung betreiben (oder die derzeitige dubiose Plakataktion im Wahlkampf gegen die Grünen).

Da auch keine unabhängige Justiz existiert, kann man sich – in einem autoritären Regime- auch bei niemandem beschweren und sein Recht einklagen. Man muss mich deswegen – unter der Hand – und mit viel Geld an die entsprechenden Stellen wenden um deren Wohlwollen zu erreichen. Das sollte uns alarmieren, denn so entsteht eine ausufernde Korruption und Korruption ist in autoritären Regimen systemimmanent, es wird nur nicht darüber berichtet. Und Korruption korrodiert jedes politisches und wirtschaftliches System – so wie eben jetzt das afghanische Regime.

Und darin sehe ich eine der großen Gefahren des Afghanistan-Debakels: Dieses offensichtliche Versagen des Westens, seine Unfähigkeit, seine Inkonsequenz und das im Stich lassen aller Afghanen (und Afghaninnen), die ihn und seine Werte*** unterstützt haben untergräbt – national und international das Vertrauen in dessen Werte wie in dessen Vertrauenswürdigkeit – und treibt viele Leute weiter in die Arme von autoritären oder „alternativen“ Heilsversprechern und Menschenverächtern wie Dschihadisten.

Noch etwas: Glaubt irgendwer in der modernen Wirtschaft, dass ein zentral gesteuertes, hierarchisches System einem dezentralen, welches auf Eigeninitiative und Verantwortung setzt dauerhaft überlegen ist?

Womit wir beim Sport und bei Lionel Messi sind – der jetzt zu Paris Saint-Germain gewechselt ist und nun auch von Katar (= Muslimbrüder) finanziert wird. Den russischen Oligarchen in London war er wohl auch zu teuer. Und der FC Barcelona hat immer auf Brustwerbung verzichtet und dafür den Unicef-Schriftzug getragen, dafür ist er jetzt Pleite. Welch ein Hohn!  Ist da noch Sport oder ist es nur noch der Missbrauch des Phänomens durch autoritäre Systeme? Nicht nur das „Brot und Spiele“ zur Ruhigstellung der Massen, sondern eine unfaire Sympathiewerbung unsympathischer Hintermänner. Oder gehört es in die Kategorie „wer hat den Größten“? Das ist sehr wichtig unter diesen Menschen – seien es Wolkenkratzer in Dubai, Paläste am Bosporus oder auf der Krim, Luxusjachten – oder Fussballclubs?

Auch die olympischen Spiele sind vorbei und die Deutschen haben versagt ! Mehrmals musste ich lesen, dass das US-Sportsystem viele effektiver wäre, weil die Amis viel mehr Medaillen gewonnen hätten. Bezieht man die gewonnen Medaillen aber auf die Bevölkerung der Länder, zeigt sich ein ziemlicher Gleichstand. Tatsächlich viel effektiver sind hier Länder wie die Niederlande, Australien, Neusseland, Norwegen, Ungarn (!), Schweiz (deren phamazeutische Industrie scheint der deutschen hier voraus zu sein!?), Schweden, …, die bezogen auf ihre Bevölkerungszahl jeweils ein vielfaches der deutschen und US-amerikanischen Erfolges hatten – aber von denen war in den Kommentaren nie die Rede. Ist das dann Denkfaulheit oder ist die Schule dran schuld, die anscheinend nicht den Unterschied zwischen absoluter und relativer Größe lehrt? Und – sollen Kommentatoren die so schreiben und Leute die so denken dann wählen gehen? Welche Folgen hat unterkomplexes Denken für eine komplexe Welt mit komplexen Problemen? Dann schon lieber „gendern“!

Eine trostlose Welt, eine kalte Welt – und ich kann als Atheist nicht mal auf Trost und Gerechtigkeit im Jenseits hoffen. Vor kurzem hatte ich wieder eine Begegnung mit der katholischen Kirche. Nach langem Bitten und Betteln kam der Pfarrer zu uns nach Hause und spendete unserem Sohn die Erstkommunion und die Firmung (das ist für schwer behinderte Kinder so möglich). Und da war es wieder – das was mich am Katholizismus so anzieht. Es sind nicht nur die Kirchenglocken, es ist nicht nur der feiertägliche Blick auf die Dorfkiche, es ist nicht nur die beeindruckende Kunst, der Barock. Es ist das „ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“, es ist das „gib uns deinen Frieden, es ist das „so wird meine Seele gesund“. Es ist der Trost, der in diesen Worten liegt. Ich weiß, für mich sind es eigentlich falsche religiöse Versprechungen, aber darum geht es mir nicht. Es ist dieser Wunsch, sich fallen lassen zu können in einen schützenden Schoss. Es ist dieser Wunsch, nach dem Ablegen seiner Fassade – dieses ein armer Sünder sein zu dürfen (bin ich als Atheist nicht auch ein armer Sünder?), nichts darstellen zu müssen, nicht perfekt sein zu müssen – und trotzdem unbedingt angenommen zu sein. Ich habe dieses Gefühl in den letzten Jahren mehrfach in katholischen Gottesdiensten erlebt (ich weiß nicht, ob das in evangelischen Kirchen auch so zu spüren ist) und merke, dass es mich ziemlich stark anzieht. Für mich ist das ein wichtiger Punkt, der in der modernen Welt sonst fehlt und den der Mensch braucht. Ich bin nicht gläubig, aber die Riten und Gebete in denen diese Formeln gesprochen werden haben etwas sehr auto(-suggestives) an sich und sprechen mich daher unabhängig von meinem (Un)Glauben an. Ich weiß nicht, ob ich hier eine intellektuelle oder philosophische Lösung finde, dass mich so etwas trösten darf. Aber was solls, andere Leute bringen ganz andere Dinge zusammen, die sich widersprechen – und schließlich ist Ambiguitätstoleranz nicht nur eines meiner Lieblingswörter sondern eben auch eine Form der Toleranz – und Toleranz ist wichtig!

Anbei: Literarisch hab´ich auch noch was reingestellt: Die Katze und die Zwiebel , ich liebe doch Katzen und Ob Fliegen träumen , beiden wünsche ich neugierige Leser!

* Zu dem Thema möchte ich die Bücher vom Ahmed Rashid empfehlen, einem pakistanischen Journalisten und wohl einer der profundesten Kenner der Thematik. Dazu muss man aber anmerken, dass sich die Taliban in den letzten Jahren v.a. durch Schlafmohnanbau und Drogenhandel finanzieren, was sie natürlich auch nicht sympathischer macht.

**Vor einigen Jahren fand etwas Vergleichbares im Irak statt, als der IS die mit modernen Waffen ausgerüsteten irakischen Divisionen bei Mossul überrannte und deren Material übernahm. Man hätte vielleicht aus der Erfahrung lernen können?! Die Soldaten flohen oder waren nur auf dem Papier vorhanden, irgendjemand hatte aber jahrelang Sold für sie kassiert.

*** Ich habe dazu etwas im vorletzten Text geschrieben (etwa in der Mitte): … was „westliche Werte“ sind? Für mich sind es Errungenschaften wie die Demokratie, die Betonung des Eigenwertes des Individuums, die Universalität wie die Betonung der Menschenrechte, die Freiheit des Individuums, des Denkens, der Kunst und nicht (nur) der Reichtum und der Konsum. Auch das Recht zur Teilhabe und der Kritik an der Gesellschaft… usw. Es geht also eigentlich v.a. um humanistische Werte.

 

 

 

 

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