Zardoz, der Wahl-o-mat, die eklige weiße Gesellschaft und Frau Stock

ganz kurz vorneweg: sarah-lee heinrich hat sich inzwischen für die „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ entschuldigt und damit sollte manes dann auch gut sein lassen, was ihre person betrifft  – ich lass es trotzdem mal in der überschrift, wegen der aufhängerwirkung für das thema. 

Mein Gott, wie die Zeit vergeht – es ist schon November, der unbeliebteste Monat der Deutschen – zu seiner Ehrung ein Gedicht. Die Bundestagswahlen waren und die vierte Welle droht – ein deja vú. Ich hab damals ja den Wahl-o-mat gemacht – und eine andere Empfehlung bekommen als ich dann tatsächlich gewählt habe. Aber ich habe immer das Gefühl, da werden nie die wesentlichen Fragen gestellt. Es geht immer um isolierte Fachfragen – etwa wie man zum Mietendeckel steht. Ich finde das äußerst problematisch, weil ich denke, dass die Mietsituation in vielen Städten äußerst angespannt ist und dieses Problem eines der drängendsten unserer Gesellschaft ist – es wird aber nicht danach gefragt, ob man sich wünscht, dass die Politik sich auf dieses Problemfeld konzentriert – sondern nur, wie man diese einzelne Maßnahme sieht – unabhängig von ihrem Sinn. Und so geht es mir mit vielen Themenfeldern. Warum fragt man denn nicht viel grundsätzlicher – ob man etwa für mehr staatliche Maßnahmen ist, ob man für mehr Umverteilung in der Gesellschaft ist, ob man für eine größere unternehmerische Freiheit ist – mit allen ihren Konsequenzen – ob man für eine striktere Umweltpolitik ist und dabei auch Einschränkungen befürwortet – oder etwa ob man für mehr oder weniger Zuwanderung in der Gesellschaft ist – usw. … . Hier liegen doch die Konfliktlinien in unserer Gesellschaft!?

Ich sehe die Spaltung unserer Gesellschaft in immer mehr „Fraktionen“ für ein zentrales Problem. Ich denke hierbei nicht nur an die Trennungslinien zwischen rechts und links, Querdenkern und Rationaldenkern oder etwa den traditionellen Linken und der identitären Linken. Viel wichtiger halte ich das Problem der Spaltung in arm und reich – und hier meine ich vor allem eine Schicht von Superreichen, die sich unserer Gesellschaft immer mehr entziehen und sich von ihr abkoppeln – und auf der anderen Seite die Möglichkeit haben einen vollkommen überproportionalen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Hier sei neben dem Link (da geht es um den großen Einfluss der „Reichen“ auf das Klima), etwa auf den Einfluss „Reicher“ auf den Sport hingewiesen, wenn irgendein „Scheich“ oder „Oligarch“ sich einen Fussballclub als Spielzeug zulegt – und damit das Gefühlsleben von Millionen Fans beeinflusst. Hier sei auf den unheilvollen Einfluss von Medienmogulen hingewiesen, die über ihre „Imperien“ etwa rechtspopulistische Tendenzen fördern.  Ich habe versucht, dieses Problem im Text Zardoz zu anzusprechen – dazu aber noch keine Rückmeldungen bekommen. Schade!

Kleines P.S. an dieser Stelle: ein paar Tage nachdem ich diese Zeilen geschrieben habe, habe ich ein Interview mit dem US-Historiker Timothy Snyder gelesen, der sich mit „Zardoz“ und anderen Texten ziemlich gut ergänzt und ebenfalls die gegenwärtige Gefährdung der Demokratie thematisiert.

Was mich in diesen Tagen noch bewegt ist die Erkenntnis, das ich zur ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft gehöre. Ich bin zwar nur ein alter weißer Mann, aber ich empfinde diese Äußerung (die immerhin von der Jugendsprecherin einer zukünftigen deutschen Regierungspartei stammt), als diffamierend und sie trifft mich. Ich frage mich immer, wie man in unserer Gesellschaft mehr Menschlichkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl schaffen will, wie man Probleme der Integration und des Rassismus überwinden will, wenn man sich so verletzend aggressiv verhält? Ich denke überhaupt, es ist ein Grundproblem der sogenannten „identitären Linken„, die Gesellschaft in immer differenzierte Täter- und Opferkategorien einzuteilen. Dies wird weder der Ambivalenz der Menschen die in diese Kategorien eingeteilt werden gerecht, noch trägt es dazu bei, die Gesellschaft weiterzubringen. Man wird ja auch nicht gefragt, ob man sich selbst mit einer dieser Gruppen identifiziert, man wird einfach eingeteilt und in eine Schublade gesteckt. Ich denke, dieses Verhalten ist Antihumanistisch weil der Humanismus immer vom Wert und der Einzigartigkeit des Individuums ausgeht. Man muss demnach versuchen den Einzelnen kennenzulernen und zu versuchen ihn in allen seinen Facetten und mit seiner Geschichte zu betrachten, erst dann kann man ihn bzw. seine Ansichten gegebenenfalls auch ablehnen – das bin ich ihm in diesem Falle schuldig. Wenn ich Menschen immer nur in Kategorien stecke verhindere ich genau dieses. Ich muss versuchen, im Flüchtling, im Schwulen, im Türken, im Fremden, im Deutschen, im alten weißen Mann einen individuellen Menschen zu sehen, das ist für mich essentiell um eventuelle Vorbehalte zu überwinden. Das ist gleichzeitig aber eine Forderung, die sehr schwer durchzuhalten ist und mich wie viele andere überfordert. Darum geht es aber nicht – es geht darum, sich immer wieder am Kragen zu fassen und daran zu denken, dass der andere mehr ist als eine kategorische Zuschreibung. Ich denke nur so werden wir es schaffen, die Probleme, die sich etwa durch die Zuwanderung ergeben zu bewältigen. Nur wenn ich den anderen kennenlerne kann ich ihn schätzen lernen und wird er kein Fremder bleiben. Man mag natürlich der Meinung sein, dass zu viel Zuwanderung für unsere Gesellschaft nicht gut ist – aber wir leben nun mal in einer Gesellschaft mit sehr vielen Migranten. Das ist Realität – und wir dürfen die Realität nicht leugnen sondern müssen mit ihr konstruktiv umgehen. Diese Forderung richtet sich natürlich nicht nur an die „Biodeutschen“ sondern in gleicher Weise an die Zuwanderer. Wer hier nicht mit unseren gesellschaftlichen Grundwerten (etwa: Freiheit des Individuums, der Kunst, des Denkens, Gleichberechtigung der (aller) Geschlechter, Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit) übereinstimmt muss sich fragen lassen, ob er hier dauerhaft am richtigen Ort ist. Ich denke eines der großen Probleme der Integration ist es, dass sich viele Zuwanderer hier nicht willkommen, geschätzt und anerkannt fühlen. Jeder Mensch hat das zentrale Grundbedürfnis in seiner Person, als Mensch geschätzt zu werden – und wenn ich das Gefühl habe, von der Gesellschaft, in der ich lebe nicht geschätzt zu werden, werde ich mich damit nicht identifizieren und mich nicht konstruktiv beteiligen. Das gilt wiederum nicht nur für Migranten sondern natürlich genauso für Nichtmigranten. Und es kommt zur Desintegration von verschiedenen Bevölkerungsanteilen, wenn sie sich nicht mehr geschätzt und in ihrer Leistung gewürdigt fühlen – siehe etwa die absteigende oder von Abstiegsänsten zerfressene weiße Mittelschicht in den USA und Trump.

Ich kann den anderen aber nur schätzen lernen, wenn ich ihn kennenlerne. Kann ich ihn nicht kennenlernen, muss ich ihm zugestehen, ein Mensch zu sein  mit den gleichen Grundbedürnissen wie ich – und da steht Wertschätzung ganz weit oben. Weil ich in der realen Welt nicht alle Menschen kennenlernen kann ist etwa ein Aspekt wie Höflichkeit und Freundlichkeit von großer Bedeutung.

Wieder zurück zum Rassismus/Antirassismus. Mein Vater hat im Pflegeheim viele Kräfte mit Migrationshintergrund. Neulich war er bei uns zu Besuch mit einer jungen Afrikanerin als begleitender Pflegekraft (das ist bei ihm medizinisch notwendig). Ich traute mich dann doch über meinen Schatten zu springen und fragte sie, wo sie herkam (aus Kenia). Für mich war das die nächstliegende Frage um in ein etwas näheres oder persönlicheres Gespräch zu kommen – und den/die andere kennenzulernen. Ich hatte davor aber ernsthafte Skrupel, weil ich es immer wieder gelesen habe, wie unangenehm und rassistisch es sei, jemanden so nach seiner Herkunft anzusprechen.

Ich denke es tut unserer Gesellschaft überhaupt nicht gut, dem unbarmherzigen und rigiden Ton zu folgen, den ich aus sogenannter „antirassistischer Ecke“ wahrnehme (ich empfinde das so!). Wir müssen offener, wärmer und menschlicher miteinander umgehen.

Wenn ich mir anschaue, was in England im Streit um die (feministischen) Philosophin Kathleen Stock geschehen ist wird mir mulmig. Wenn ich sehe, wie angeblich progressive Kräfte versuchen jemanden mundtot zu machen und wegzumobben wird mir ganz schlecht. Ich denke gerade die Frage nach der Geschlechtsidentität ist eine die der offenen philosophischen Betrachtung bedarf – und solch eine Diskussion mit Hinweis auf eventuell verletzte Gefühle von Transpersonen abzutöten ist inakzeptabel für eine offene Gesellschaft und unmenschlich gegenüber der betroffenen Person.

Um noch einmal auf das Grundthema zu kommen -wenn man die Menschheit in Täter- und Opferkategorien einteilt und dann auf die selbsteingeteilten „Täter“ einprügelt ist niemandem geholfen, es vertieft nur die Gräbern in unserer Gesellschaft und reißt neue auf. Eine solche Haltung ist zutiefst antihumanistisch – auch wenn sie vorgibt, die Interessen von Minderheiten zu schützen, weil sie den Menschen eben nur als Angehörigen einer Kategorie betrachtet – und nicht bereit ist ihn als Individuum zu betrachten. Im Gegenteil: Die Einteilung in Kategorien verhindert Offenheit und das gegenseitige kennenlernen. Um das Ganze zu unterfüttern hier noch mal der Link dazu: die-antiaufklaererische-dimension-linker-identitaetspolitik.

Es geht doch darum, in der Gesellschaft patriarchalische, chauvinistische, rassistische und sexistische Einstellungen zu bekämpfen. Wenn  man jetzt zum Beispiel gegen alte weiße Männer polemisiert unterstellt man diesen offensichtlich, dass sie diese Einstellungen vertreten – d.h. man macht etwas, was man ablehnt an einem biologischen Merkmal fest – und genau das ist für mich Rassimus. Jemanden für ein „angeborenes“ Merkmal in „Haftung“ zu nehmen, für das er nichts kann. Und ich denke mir dann immer was ist denn das Ziel der Menschen, die solche Begriffe als Kampfbegriffe führen? Ist es ideologische Verblendung oder ist ihnen dieses Problem unbewusst?

Warum schreibe ich das? Ich bin Humanist – und als Humanist fühle ich mich den Idealen der Aufkärung verpflichtet und verbunden. Ich denke, die Aufklärung, die ja beileibe kein abgeschlossener Prozess ist, ist die Voraussetzung für humanistisches Denken. Ich sehe die Aufklärung als einen der entscheidenden Fortschritte der Menschheit an – und ich halte das aufklärerische Denken heute von vielen Seiten bedroht. Die Ablehnung der Aufklärung von rechter Seite ist ein altes Phänomen – rechte Ansichten leugnen die Gleichwertigkeit der Menschen – umso besorgter bin ich, wenn solche Tendenzen – wenn auch oft versteckt von anderen Seiten kommen.

Ich hoffe es war kein zu schweres Thema um den Herbst zu geniessen! Auch der November verdient unsere Aufmerksamkeit!

 

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